Pflegeort Ländlicher Raum: Eine schicksalhafte Frauendomäne?
Ja es scheint so – und es ist auch tatsächlich so. Die Herbstfachtagung des Sächsischen Landfrauenverbandes am 18. November 2017 zum Thema Pflege lieferte ziemlich eindeutige Antworten. Die persönlichen Berichte von Frauen, die selbst pflegen oder aus ihrem Umfeld Pflege kennen, bewirkten nicht nur Mitgefühl, sondern auch Betroffenheit über die Zustände.
„Wir steuern auf einen Pflegenotstand zu und das liegt nicht an denen, die als Familienangehörige selbst pflegen oder einem Pflegeberuf nachgehen. Es liegt am System,“ war die bittere Erkenntnis am Ende des Tages.
Angehörigen müssen sich nicht nur darum kümmern, dass die Pflege irgendwie organisiert und geregelt wird, Pflege kann auch tiefe Eingriffe in das Berufs- und Familienleben sowie die Wohn- und finanzielle Situation der gesamten Familie nach sich ziehen. Viele Frauen tragen dieses Schicksal, weil sie sich selbst in der Pflicht sehen, ihren Angehörigen zu helfen.
Wir haben uns die Frage gestellt, ob es ältere Menschen wirklich wollen, auch dann zuhause zu bleiben, wenn es allein nicht mehr geht. Das Ergebnis war eindeutig: Die meisten Landfrauen wünschen sich das. Wie soll das aber konkret aussehen, wenn die Kinder nicht in der Nähe wohnen, große Wohnungen und Grundstücke eine Last werden und es für alltägliche Besorgungen Hilfe und Unterstützung braucht?
Wir sehen hier an vielen Stellen gesellschaftlichen Handlungsbedarf, aber zuallererst müssen wir darüber reden:
• Wir brauchen eine breite Diskussion darüber, was wir wirklich im Alter wollen, was wir uns selbst und unseren Kindern zumuten können. Es geht um ein selbstbestimmtes Leben für Ältere und für die Angehörigen. Dazu gehört eine gesunde Lebensweise genauso wie sich rechtzeitig zu informieren, Verfügungen zu treffen und sich mental darauf einzustellen. All diese Dinge sind keine Tabus, sie müssen am Familientisch besprochen werden.
• Wir brauchen eine andere Sichtweise auf die Leistungen pflegender Angehörige. Ihnen wird seelisch und körperlich viel abverlangt. Sie fühlen sie sich oft allein gelassen, besonders dann, wenn der „Pflegefall“ erstmals eintritt oder wenn es krankheitsbedingt Veränderungen in der Pflegesituation gibt. Dann müssen die Angehörigen eine aufwändige und stressige Mittlerrolle übernehmen.
• Wir brauchen für eine funktionierende Pflege ein System, das mit allen Gesellschaftsbereichen verknüpft ist. Besonders das Zusammenspiel von Krankenhäusern, Hausärzten, Pflegediensten und -heimen, sonstigen Anbietern von Pflegeleistungen oder Pflegehilfsmitteln ist nicht optimal. Pflege findet mitten in der Gesellschaft statt und muss daher auch in alle Bereiche integriert werden. Das betrifft das Gesundheitswesen genauso wie das Wohnungswesen, die Mobilität, die gesamte Alltagsversorgung und auch Zukunftsfragen wie die Digitalisierung.
• Wir brauchen unabhängige Stellen der Beratung und Ansprechpartner außerhalb der Pflegekassen, die über die eigentliche Pflege hinaus informieren und vermitteln können, und das auch weit im Vorfeld eines möglichen Pflegefalls. Maßstab für eine solche Beratung sollte die Lebensrealität der zu Pflegenden und ihrer Angehöriger sein. Die in den Landkreisen angesiedelten Pflegenetzwerke bringen vor allem die Anbieter am Markt von Pflegeleistungen zusammen. Die Pflegedatenbank des Freistaates Sachsen hat den Charakter eines Branchenbuches. Wer auf der Suche ist, muss weiter recherchieren und direkt nachfragen. Bewertungen und Erfahrungsberichte gibt es leider nicht.
• Wir müssen hinterfragen, ob das Prinzip der Wirtschaftlichkeit im System „Pflege“ richtig ist. Es führt dazu, dass angeboten wird, was sich für die Betreiber rechnet. Wir haben erfahren, dass es immer schwieriger wird, einen Platz in der Kurzzeitpflege oder Tagespflege zu bekommen, möglicherweise weil es wirtschaftlich nicht attraktiv ist. Die Leidtragenden sind in diesem Fall die pflegenden Angehörigen, die dann eben keine Auszeit von der Pflege nehmen können.
Unser Fazit lautet: Das „System Pflege“ und die Lebensrealität der Betroffenen passen oft nicht zusammen. Zwar gibt es das Pflegestärkungsgesetz mit einigen Verbesserungen, aber bei den Pflegekassen und den Leistungsanbietern offensichtlich auch Informationsdefizite bei der Anwendung der neuen Regelungen.
In ländlichen Regionen kommen zusätzliche Herausforderungen dazu. Drohende Vereinsamung für die zu Pflegenden, ausgedünnte Infrastrukturleistungen, weite Wege für betroffene Angehörige, aber auch für Pflegedienste sind Realität. Es ist an der Zeit darüber zu reden und nach würdigen Zukunftslösungen zu suchen.
Natürlich können wir als Landfrauen und als Verband auch selbst aktiv werden. Einige Arbeitsthemen haben wir herausgefunden und notiert (Anlage).